Es gibt diese Momente im Leben, in denen man am Liebsten vorspulen würde. Dienstagnachmittag vergangener Woche war einer. Da startete nämlich der Live-Stream aus Berlin, der finale Countdown zur Verkündung des Kita-Preises 2020. Und trotz Top-Moderation zog sich die Sendung irgendwie wie Kaugummi! Fingerknibbeln und nervöse Blicke bei den Mitarbeitern, bei jeder Anmoderation à la „der nächste 2. Platz geht an eine Kita in einer Stadt am Wasser“ stockte uns der Atem. Dann endlich die erlösenden Worte von Familienministerin Franziska Giffey, die im Jubel untergingen. Manches Freudentränchen wurde verdrückt und urplötzlich verkehrte sich die Sicht der Dinge, und die Zeit konnte einfach nicht langsam genug verstreichen. Zu schön war dieses Glücksgefühl!
Der Abend der Preisverleihung verging dann leider doch wie im Flug und am nächsten Morgen realisierten wir erst, was dieser Preist eigentlich bedeutet. Denn die Telefone liefen heiß, Presse. Radio, TV – alle wollten ein Interview, ein Statement, eine Reaktion von uns. RTL, NDR, SAT1, das Bundespresseamt, die Deutsche Presse Agentur (dpa), lokale und regionale Zeitungen, Radio Nordseewelle, ffn und viele andere. An vorderster Front der Medien-Tätigkeit stand Doris Gießenberg, unsere Leitung, die ihre Reaktion auf den 1. Platz wie folgt kommentierte:
„Ich hätte niemals damit gerechnet, dass wir als Sieger vom Platz gehen. Wobei ich mir von Anfang gesagt habe: Man kann nur gewinnen, wenn man an dem Wettbewerb teilnimmt. Für uns ist der Kita-Preis eine riesige Wertschätzung für unsere Arbeit! Es hat uns auch inhaltlich schon jetzt sehr viel weitergebracht. Alleine durch die Tipps und den fachlich sehr kompetenten Bericht der Jury haben wir sehr hilfreiche Rückmeldungen bekommen. Diese Erfahrung ist ein großer Schatz für uns.“
Neben der riesigen Medienresonanz freuten wir uns vor allem über die zahlreichen Glückwünsche und Grüße, die an den Tagen nach der Presiverleihung bei uns eintrudelten:
„In der Notbetreuung hatten wir in der vergangenen Woche ca. 40 Kinder, die alle so gegen 8 Uhr kommen und sonst immer von zwei Mitarbeitenden ins Haus gelassen wurden, weil die Eltern noch nicht ins Haus kommen durften. Am nächsten Morgen kamen viele Eltern mit Blumen und die Kinder kamen mit Luftballons und hatten Bilder in der Hand. Wir haben die Tür aufgemacht, alle Mitarbeitenden gingen raus und uns empfing ein Riesen-Applaus. Wir alle waren ganz ergriffen – Eltern wie Mitarbeitende – und es flossen die Tränen. Schade, dass es Abstandsregelungen durch das Coronavirus gibt. Ansonsten hätten wir sie wahrscheinlich alle in den Arm genommen und uns bei allen bedankt. Es war eine große Freude und Wertschätzung von Seiten der Eltern da, die gesagt haben: „Ihr habt’s verdient und wir freuen uns so mit euch. Wir haben gestern alle mitgefiebert.“ Viele Mails mit Glückwünschen und Fotos, die den Moment der Verkündung zeigen, haben uns am nächsten Tag erreicht“, so Doris Gießenberg.
Für die Kinder hatten wir einen Eiswagen zur Kita bestellt und auch die Familien, die keinen Notbetreuungsplatz für ihr Kind hatten, wurden per EMail eingeladen. Viele Eltern sind daraufhin zur Kita gekommen und wir haben dadurch auch viele Eltern mit ihren Kindern wiedergesehen, die wir jetzt über Wochen nicht gesehen haben. Es war einfach nur schön. Das Wetter war sonnig. Die Stimmung war ausgelassen, eine Stimmung, wie bei einem Sommerfest – nur mit Abstand.
In Interviews wurden wir immer wieder gefragt, was denn unsere pädagogische Arbeit in der Einrichtung ausmache. Doris Gießenberg fand darauf folgende Antwort: „Das Entscheidende ist die Einstellung zu unserer Arbeit. Unsere Beschäftigten in der Kita sehen ihre Aufgabe wirklich als Berufung an. Im Umgang mit den Kindern ist es von großer Bedeutung, sie da abzuholen und anzunehmen, wo sie sind. Und vor allem gemeinsam mit den Kindern neugierig zu bleiben. Sich täglich neu im übertragenen Sinne auf Spurensuche zu begeben, ist für Kinderleben sehr wichtig. Vor allem schauen wir auf die Stärken jedes einzelnes Kindes, wir arbeiten also nicht defizitorientiert. Das ist ja bei Erwachsenen auch so, dass alle ihre Stärken und Schwächen haben. Wir wollen nicht hauptsächlich auf die Fehler schauen, sondern auf die Potenziale.“
„Bei uns spielen das forschende Lernen und der Kreativbereich in der Tat eine große Rolle. Das Wort „Upcycling“ ist mittlerweile ein viel gebrauchter Begriff. Dem kommen die Kinder bei uns in einem eigenen Atelier nach. Ob alte Computer, ein Radiogerät, eine gebrauchte Kaffeemaschine, oder andere alltägliche Dinge wie Dosen oder Stoffe: Die Kinder experimentieren, bauen auseinander oder gestalten etwas Neues. Dabei brauchen sie nur selten eine Anleitung, meistens haben sie selbst genug Ideen.
Im Atelier haben wir auch Kunstbücher ausgelegt. Hier können die Kinder schauen, was große Künstler alles erarbeitet haben. Und wenn den Kindern selbst etwas besonders gut beim Werken oder Malen gelingt, dann wird das auch in der Kita ausgestellt.
Hat sich durch die Teilnahme beim Deutschen Kita-Preis in unserer Einrichtung und an unserer Arbeit etwas verändert? Was nehmen wir von unserer KitaPreis-Reise mit?
Doris Gießenberg: „Ich nehme mit, dass wir eine Wertschätzung erfahren haben, die wir so vorweg noch nicht erlebt haben. Für uns war es schon eine große Anerkennung unter die 25 Nominierten zu kommen. Danach war es noch mal wichtig, für die weiteren Bewerbungsunterlagen in die Reflexion zu gehen. Wir haben uns im Team Zeit genommen, zu überlegen, wo wir derzeit stehen, was wir machen und was uns wichtig ist. Am Ende hatten wir ein Manuskript in den Händen, das uns zeigte: Das sind wir jetzt im Augenblick. Jeder konnte es sich noch einmal durchlesen und überlegen, ob alle Punkte, die ihm selbst wichtig sind, auch wirklich verankert sind. Das war schon ein wichtiger Prozess, den wir gemeinsam durchgegangen sind und der das Team auch noch mal gestärkt hat. Der Prozess hat uns aber auch noch mal dahingehend gestärkt zu überlegen, ob wir die Bedürfnisse der Kinder wirklich im Blick haben. Wir haben dann mit den Kindern überlegt, was ist gut und richtig und was müssen wir gegebenenfalls verändern.
Als wir unter die letzten zehn gekommen sind, wollte jeder erst mal überlegen, wie der Expertinnen-Besuch hier aussehen wird. Dann wurde gleich auf der ersten Dienstbesprechung im neuen Jahr gesagt: „Wir hatten doch im November ein paar Punkte, die wir noch einmal mit den Kindern überdenken wollten. Wollen wir das Risiko eingehen und kurz vor dem Expertinnen-Besuch Veränderungen vornehmen?“ Allen war dann schnell klar, dass es nicht darum geht, wie der Besuch der Expertinnen ablaufen wird. Es geht darum, wo wir mit den Kindern stehen und was im Augenblick wichtig in der Arbeit mit den Kindern ist. Wir haben dann unseren gesamten Tagesablauf gemeinsam mit den Kindern überdacht: „Was braucht ihr? Was wollt ihr und was wollt ihr nicht?“ Wir haben innerhalb von zwei Wochen unsere Tagesstruktur total umgekrempelt. Es gab schon Sorgen, dass unsere abgeschickte Bewerbung einen anderen Inhalt hat, als den, den die Expertinnen nun hier erleben. Beim ersten Gespräch mit den Expertinnen haben wir ihnen erklärt, dass wir vor 14 Tagen den gesamten Tagesablauf in Absprache mit den Kindern verändert haben. Wir baten die Expertinnen um eine Rückantwort. Der Blick von außen würde uns sicher helfen zu sehen, ob wir auf dem richtigen Weg sind. In den Gesprächen während des Expertinnen-Besuchs haben die Kinder wohl widergespiegelt, wie sie diese Neuerungen erarbeitet und auch als passend empfunden haben. Auch die Mitarbeitenden haben in der Reflexionsrunde mitgeteilt, wie wichtig diese Änderung für das Wohlbefinden von Kindern und Erwachsenen war. Dabei haben wir die Chance nutzen können, zwei Fachfrauen im Haus zu haben, die die Situation analysieren können. Diesen Mut zur Veränderung zu haben, das ist auch das, was wir aus dieser ganzen Situation mitnehmen: Mut zu haben, etwas Neues anzugehen, auf sein Gefühl zu hören und auf das, was die Kinder uns sagen, um dann daraus Konsequenzen zu ziehen. Im Nachhinein war es genau das Richtige zum genau richtigen Zeitpunkt.
Kaum ist der Kita-Preis 2020 vergeben, läuft schon die Bewerbungsfrist für den Preis 2021. Lohnt sich die Bewerbung? Wir sagen eindeutig „Ja“:
„Ich glaube man muss anderen Einrichtungen ein wenig die Angst nehmen. Im Grunde genommen ist das Wichtigste, was ich allen mitgeben kann: Habt Mut! Geht den ersten Schritt. Euch kann nichts passieren, ihr könnt nicht verlieren, ihr könnt immer nur gewinnen. Und wenn der zweite Schritt kommt, gewinnt ihr noch mehr und beim dritten Schritt sicherlich noch mehr. Ob nachher ein Preisgeld rauskommt, ist egal, aber die Reise beim Deutschen Kita-Preis ist fürs Team teambildend, ist eine wertschätzende Art, mit der mit uns umgegangen wird und ist ein fachliches Profil, was uns gegeben wird. So etwas können wir sonst nicht wieder erreichen. Wenn ich die Expertinnen zum Beispiel selbst eingeladen hätte, um sich unser neues Konzept anzuschauen, hätte ich viel Geld dafür bezahlen müssen, was ich gar nicht habe. Und so haben wir hier Fachleute gehabt, eine fachliche Rückantwort bekommen, wie unsere Arbeit gesehen wird – und das kann ich runterbrechen bis zur Erstbewerbung. Warum soll ich das nicht machen, wenn ich davon nur profitieren kann? Unseren Podcast zum Them Kitapreis hat zum Beispiel auch das Niedersächsische Institut für frühkindliche Bildung und Entwicklung (Nifbe) veröffentlicht und die vielen Aufrufe zeigen, wie groß das Interesse am Deutschen Kita-Preis ist. Habt als Einrichtung den Mut zu sagen: Wir machen das jetzt! Gerade die Corona-Zeit gibt uns und den Teams auch Zeit, die Arbeit zu hinterfragen und etwas zu erarbeiten. Nutzt diese Zeit für euch und eure Einrichtung. Macht einfach den ersten Schritt!“